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MAINfeeling Frühling 2022

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20 STORY alles gemeinsam

20 STORY alles gemeinsam und es ist gewollt, dass sich jeder einbringt. Im Erdgeschoss gibt es dafür einen Gemeinschaftsraum mit Küche, den sie abends und am Wochenende nutzen können. „Wir feiern Kindergeburtstage dort und haben schon einen Yogakurs veranstaltet.“ Im Haus herrscht ein großer Zusammenhalt. „Es ist ein bisschen wie in einer Großfamilie.“ Man bestellt gemeinsam Gemüse und Obst aus Direktvermarktung, kümmert sich um den Garten, schafft Spielgeräte an, feiert zusammen. Die Kinder, die alle auf dieselbe Schule gehen, werden in der Gruppe von einem Erwachsenen hingebracht und wieder abgeholt. Wenn die Kleinen zu Hause sind, stehen überall die Türen offen. „Die Hausaufgaben werden mal hier, mal da gemacht. Auch wenn mein Mann und ich mal beide spontan weg müssen, weiß ich, es kümmert sich jemand um unsere Kinder. Das ist eine enorme Erleichterung, weil wir keine Verwandtschaft hier in der Nähe haben“, berichtet Andrea Haller. Die Vorteile beschränken sich nicht nur auf das kunterbunte Familienheim. „Auch die Nachbarn interessieren sich für uns und unsere Kinder.“ Das Palettenhaus auf dem Rasen hat ein Bewohner des anderen Hauses mit den Kindern gebaut. „Als unsere Mädchen kleiner waren, war eine ältere Dame aus dem Nachbarhaus, die wir per Aushang gefunden hatten, unsere ‚Leihoma’. So hatten sie immer eine Anlaufstelle.“ Auch heute kommt „Leihoma Ulla“ noch zum Geburtstagskaffee der Töchter. Die sind heute selbstständiger und engagieren sich nun für andere. Rosalie, die Ältere, führt gerade dreimal die Woche den Hund einer Nachbarin aus, die wegen einer Hüft-Operation nicht gut laufen kann. DAS GESAMTE QUARTIER PROFITIERT VON DIESEM PROJEKT Im Nachbarhaus, in dem Charlotte Sturm lebt, war der Zusammenhalt zwischen den Bewohnern schon vor dem Einzug groß. Die Genossenschaft „Schnelle Kelle“, in der alle neun Parteien des Hauses sowie die Kita im Erdgeschoss organisiert sind, gründete sich bereits 2011 für den Bau des Hauses. Cora Lehnert und ihr Mann Niels Lanz hatten sie mit ein paar Freunden vier Jahre zuvor initiiert, die Architektin übernahm auch die Projektleitung des Baus. „Jede Partei hat anteilig zur Größe der Wohnung einen Teil der Kreditsumme übernommen. Wir haften alle miteinander, mussten also ein ziemliches Risiko eingehen“, erzählt Lehnert. Das erforderte nicht nur einen langen Atem, weil von der ersten Planung bis zum Einzug mehr als sieben Jahre vergingen. Es schweißt auch zusammen. „Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft, verwalten uns selbst und identifizieren uns mit dem Projekt. Wir haben daher alle den Willen, dass es funktioniert“, sagt Charlotte Sturm. Das führe bei jedem zu einer größeren Rücksichtnahme. Zugleich schätzt sie am meisten die Sicherheit, die ihr die genossenschaftliche Wohnform gibt: „Niemand kann meine Miete radikal erhöhen oder mich zwingen auszuziehen.“ Das lasse sie auch gelassener mit kleinen Meinungsverschiedenheiten darüber umgehen, wann die Rosen im Garten zurückgeschnitten werden sollten. Als einige Kinder im Haus im Teenager-Alter waren, habe es mehr Probleme gegeben, erinnert sich Cora Lehnert, deren eigene Kinder mittlerweile ausgezogen sind. „Das Hauptproblem ist immer der Lärm, von dem man sich gestört fühlt. In einem normalen Mietshaus hat man den Vermieter als Ansprechpartner, wir müssen das untereinander regeln.“ Bisher sei das immer gelungen. Dafür ist der Austausch im Haus groß. Wer bei den Nachbarn nach einer Zitrone frage, bekomme eher zu viele Früchte als zu wenige, sagt Lehnert. „Es ist ein besonderes Wohngefühl. Man fühlt sich geborgen und aufgehoben. Wenn etwas passiert, sind viele da, die helfen würden“, ist sie sich sicher. Die Verantwortung für das gemeinsame Haus tragen alle. Schriftliche Verpflichtungen und Regeln gebe es dagegen nicht. Geklärt wird alles im Gespräch. Nur eine Verpflichtung der Stadt gegenüber gibt es, von der das Grundstück gepachtet ist. „Wir sollen als Stadtren dite etwas zurückgeben und veranstalten dafür jedes Jahr einen Weihnachtsmarkt auf dem Naxos-Parkplatz.“ Der ist mittlerweile auch bei den Mietern der ABG-Wohnungen nebenan besonders beliebt. „Das gesamte Quartier profitiert von unserem Projekt. Die Menschen von dort kommen gerne bei uns vorbei, weil es hier lebendig ist“, sagt Lehnert. Es müsse viel mehr solcher Projekte in der Stadt geben, sind sich alle einig. Doch sie wissen auch, wie schwierig die Umsetzung ist, nicht nur, weil man einen langen Atem braucht. „Es gibt heute einfach keine günstigen Grundstücke mehr. Ein solches Konzept funktioniert nur, wenn es von der Stadt unterstützt wird“, stellt Cora Lehnert fest. Umso mehr bestärkt es sie in der Entscheidung, ihren Genossenschaftsanteil an der „Schnellen Kelle“ nicht mehr aufzugeben. Das geht den meisten der Bewohner offenbar so. Andrea Haller berichtet, dass es in ihrem Haus in den sieben Jahren noch keinen Wechsel gab und dass man eher überlegt, wenn Kinder ausziehen, die Wohnungen zu tauschen. In der „Schnellen Kelle“ ist für die neue Generation von Genossen schon gesorgt. Dort wurde gerade ein Baby geboren. Und natürlich fieberte das gesamte Haus mit. Was für eine Perspektive! Das Zusammenleben mit den unterschiedlichen Generationen fördert von klein auf das Verständnis füreinander.

PORTRÄT 21 FRANKFURTS GASTGEBER SIE SIND ZIRKUSDIREKTOR, MODERATOR, SEELENTRÖSTER, IMPROVISATION- HOCHBEGABTE UND NICHT NUR ZUR PANDEMIE ÜBERLEBENSKÜNSTLER: HOTELIERS. MENSCHEN, DIE IHREN GÄSTEN EINE KLEINE HEIMAT UND EINE GROSSE BÜHNE BIETEN. JEDE UND JEDER AUF SEINE WEISE – SEHR INDIVIDUELL, ENORM EIGENWILLIG UND ALSO TYPISCH FRANKFURT. Von Constanze Kleis und Jonas Ratermann (Fotos)