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MAINfeeling Frühling 2022

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DER ZEITREISENDE

DER ZEITREISENDE Eigentlich wollte Dieter Gölz Lehrer werden. „Aber ich habe schnell festgestellt, das ist doch nichts für mich.“ Jetzt hält er einen bemerkenswerten Rekord: Er ist selbst so etwas wie sein längster Hausgast. Der 69-jährige ist in der Westend-Villa ‚Hotel-Pension Gölz‘ aufgewachsen und hat sein ganzes Leben hier verbracht. Erst mit seinen Eltern. Nach dem frühen Tod des Vaters mit seiner Mutter, dann mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern – bis zu deren Auszug. Seine Mutter Katarina Valerie – geborene Nathan – hatte das Haus nach dem Krieg als Unterkunft für Frankfurt-Besucher eröffnet. Gleich neben der „Hotel Pension Sattler“ ihrer Schwester Maria. „Die Großeltern – die selbst eine Vollpension betrieben – haben beide Häuser nach dem Krieg gekauft – mit geliehenem Geld. Da bin ich als Bub montags zwei Straßen weitergelaufen, um die Raten in einem Umschlag bar zu überreichen.“ Dieter Gölz erinnert sich, wie er als Junge mit Freunden noch auf Trümmergrundstücken im Westend spielte und wie Mutter und Tante – energische Geschäftsfrauen mit stabiler Stimmlage ausgestattet – sich manchmal einfach durch die Wand unterhielten. Lange sei das Reisen – zumal das geschäftliche – eine Männerdomäne gewesen. Und klar – hätten die Gäste nicht nur die Messe, – sondern auch das Rotlichtviertel besucht. „Da ist es schon mal vorgekommen, dass meine Mutter den Männern erklärt hat, was sie davon hält, wenn die hier ihre Frauen betrügen. In einer Zeit, in der Emanzipation noch kein Thema war, hat meine Mutter hier sehr selbstbewusst, sehr resolut, sehr willensstark regiert.“ Das schmälerte keinesfalls ihre Beliebtheit als Gastgeberin. „Leider wurde sie mit 70 Jahren dement.“ Der Sohn übernahm. Auch die Tradition, dass zum Haus ein Hund gehört. Aktuell ist es Fips, ein 15-jähriger Jack Russel-Terrier, der es sich gerade unter dem Tisch im Erker gemütlich macht. Dieter Gölz erzählt, dass manche Gäste schon seit Jahrzehnten kommen. Wie die Verlegerin aus dem Norden, die schon als Jugendliche hier mit ihren Eltern abstieg. Oder all die klugen Köpfe – „bis hin zum Nobelpreisträger“ – von auswärts, die die Nähe zur Universität ebenso schätzen wie die Westend-Ruhe, das gute Frühstück und die moderaten Preise: Ein Doppelzimmer kostet 89 Euro – ein Frühstück 7,50 Euro. Dennoch – „Das Haus hat keine Zukunft.“ Die Konzessionen für so einen Betrieb sind personenbezogen. Wird gewechselt, muss etwa in Sachen Brandschutz enorm aufgerüstet werden. Und das wäre unbezahlbar. „Ich fand immer, dass einen das Haus umarmt. Dass es ein sehr mütterliches Haus ist, das einem Geborgenheit schenkt“, sagt Dieter Gölz am Schluss. Dabei fühlt es sich an, als würde man an diesem sonnigen Nachmittag in einer über 100-jährigen Villa gerade etwas sehr Kostbarem beim Verschwinden zuschauen. Hotel Pension Gölz, Beethovenstraße 44, www.hotel-goelz.de

PORTRÄT 24 | 25 DIE JONGLEURIN Kaum hat sich die Holztür geschlossen, hat man das Gefühl, der Alltag würde mal eben die Luft anhalten. Draußen tobt das wilde Bahnhofsviertel, drinnen könnte der Kontrast mit dem stylish-kultivierten Charme der Gründerzeitvilla nicht größer sein. Man versteht gleich, was Stefanie Pesin meint, wenn sie sagt: „Ich habe mich sofort in das Haus verliebt!“ Seit 2018 führt sie hier die Regie im „Nizza“. Ein Hotel, das längst zu den lokalen Sehenswürdigkeiten zählt. Wegen seiner verträumten Dachterrasse, dem großartigen Frühstück, den stilvoll-schlichten Zimmern – jedes mit anderen handverlesenen Antiquitäten ausgestattetes Unikat – und auch wegen der Gäste. Hier steigen Kulturmenschen ab, wenn sie in Frankfurt zu tun haben. Ganz im Sinne der Gründerin Ursula Gerner. „Sie war damals an den Städtischen Bühnen unter anderem dafür zuständig, Schauspieler, Regisseure für die jeweilige Spielzeit unterzubringen. Was nicht immer einfach war. So entstand die Idee, einen Mangel zu beheben: ein Künstlerhotel zu eröffnen“, erzählt Stefanie Pesin. Die Stadt steuerte die Immobilie und das Geld für den Umbau bei. Den Namen lieferte das Ziel der Hochzeitsreise der Gerners. 1993 wird das Nizza eröffnet und gleich einem Härtetest unterzogen: Die Leningrad Cowboys checken ein. Die legendär trinkselige dreizehnköpfige Band aus Helsinki dreht mit Kult- Regisseur Ari Kaurismäki in der Mainmetropole. „Die lagen dann abends schon mal alle unter den Tischen.“ Als Ursula Gerner sich aus gesundheitlichen Gründen von ihrem Herzensprojekt verabschieden muss, übernehmen ihre Tochter und deren Mann. Beide heuern auf halber Strecke Stefanie Pesin als Unterstützung an. Und die wirft gleich ein paar Vorsätze über Bord. „Ich hatte nach dem Abitur und vor meinem Studium in einem richtigen Ausnutzer-Betrieb eine Hotelfachausbildung absolviert und mir geschworen, niemals mehr in diesem Bereich zu arbeiten.“ Die schlechte Erfahrung wird vom Hotel Nizza schnell überschrieben. Vom besonderen Charme des Hauses und seiner Gäste, aber auch und vor allem von einem „sehr familiären, freundschaftlichen Umgang und der fairen Bezahlung“. Das alles hat Stefanie Pesin – ebenso wie viele Mitarbeiter – mit dem Hotelbetrieb übernommen. „Mit manchen arbeite ich schon so lange zusammen, dass wir uns wie alte Ehepaare fühlen.“ Klar, sei sie aber letztlich diejenige, die stets möglichst alle Bälle gleichzeitig in der Luft halten müsse. Das war in den letzten Monaten besonders hart. „Alle waren in Kurzarbeit. Trotzdem musste der Betrieb für die Menschen, die noch kamen, weiter gehen.“ Also bezog sie – die in Bonames lebt – selbst ein Hotelzimmer im Haus, um vor Ort zu sein. Das habe sie nicht nur ihren Gästen noch einmal näher gebracht – „ich habe für alle gekocht und wir saßen dann oft noch zusammen“ – sondern auch ihre Perspektive auf das Haus verändert. Da wurde noch einmal ein Schrank verrückt oder bei der Frankfurter Illustratorin und Designerin Dani Muno ein Wandgemälde für eines der Zimmer bestellt. Kleine Korrekturen, die aber den unverwechselbaren Charakter des Hauses nicht verändern. Schließlich gilt es zu bewahren, weshalb manche Gäste schon seit Jahrzehnten kommen: sich am zweitbesten Ort nach dem eigenen Zuhause freundschaftlich aufgehoben zu fühlen. Auch vor Krieg und Zerstörung – Stefanie Pesin hat gerade zwei ukrainische Familien in ihrem Haus aufgenommen. Wer sie dabei unterstützen will, den Geflüchteten einen sicheren Hafen zu bieten – eine Spendenbox steht im Nizza bereit. Hotel Nizza, Elbestraße 10, hotelnizza.de